Präsenz & Achtsamkeit
Vorraussetzungen für die Leibarbeit
»Dreißig Speichen treffen die Nabe, aber das Leere zwischen ihnen erwirkt das Wesen des Rades; aus Ton entstehen Töpfe, aber das Leere in ihnen wirkt das Wesen des Topfes; Mauern mit Fenstern und Türen bilden ein Haus, aber das Leere in ihnen erwirkt das Wesen des Hauses. Grundsätzlich: das Stoffliche birgt Nutzbarkeit; das Unstoffliche wirkt Wesenheit.«
LAOTSE
Der Begriff »Leibarbeit«, »personale Arbeit am Leib«, »Leibtherapie« führt zunächst oft zu Aussagen wie: »Was soll das sein? Keine Ahnung.«, und dann eventuell: »Es wird wohl eine Art Körpertherapie sein.«
Aber nein, das ist sie nicht, die Leibarbeit nach Karlfried Graf Dürckheim. »Leib« in seinem Sinne meint nicht den »Körper, den wir haben« – wie er es ausdrückt –, sondern den »Leib, der wir sind«, in welchem sich der Mensch durch Bewusstwerdung selbst findet.
Scheinbare Kleinkrämerei, jedoch sehr, sehr wesentlich, führt uns diese Unterscheidung Dürckheims zum großen Ziel der Leibarbeit: zu WERDEN, WIE WIR GEMEINT SIND, als ganzer Mensch. Das entspricht auch der Prozessorientierten Homöopathie, wie sie an unserem Hause gelehrt wird, und damit gehen für mich diese beiden Therapieformen sehr schön Hand in Hand. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass ab Februar 2012 für Interessierte die Möglichkeit besteht, auch die Leibarbeit in einer noch größeren Tiefe an unserem Haus zu erlernen – die Ausbildung wird auf drei Jahre erweitert.
Die alte Bedeutung des Wortes Leib ist »LEBEN«, leibhaftig = lebend, lebendig, und ist im Englischen und Nordischen als solche bewahrt. Im Deutschen trat später der körperliche Aspekt in den Vordergrund (z.B. Leibesübungen).
Für Dürckheim ist der Leib das Organ des Menschen, der ihn seine Wesenhaftigkeit wahrnehmen lässt – eben in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Leib. Im Leib spüren wir unser eigentliches Wesen, das, was uns ausmacht als Mensch, was uns lebendig sein läßt – neben aller Funktionstüchtigkeit des Körpers. In der Homöopathie sprechen wir von »Lebenskraft«. Jede ganzheitliche Therapieform hat ihre eigenen Worte für dieses Numinose, nicht in Worte Fassbare.
Wie wir uns in der Homöopathie auf die Lebenskraft ausrichten, tun wir dies in der Leibarbeit auf das Wesen des Menschen, der in die Praxis kommt. Allein die Wahrnehmung durch den Leib, lässt sein Wesen für den Menschen präsenter, spürbarer werden und kann zu großen, wundervollen Veränderungen führen. Diese Wahrnehmung kann wandeln und ordnen hin zu Selbstachtung, Vertrauen und Liebe als tiefem Gefühl.
In der Therapie geht es darum, diesem Leib/Wesen im anderen absichtslos zu begegnen. Das heißt, es gibt kein spezielles Ziel, keinen konkreten Zweck und auch keine spezielle Technik. Die Berührung ist absichtslos, mit dem Vertrauen darauf, dass der Leib des Berührten den Weg der Heilung kennt (mindestens den nächsten Schritt) und mir als dem behandelnden Menschen mitteilen wird. So bin ich mit meiner Wahrnehmung ganz ausgerichtet auf das Wesen. Darüber wird es für den Behandelten oft leicht, sich selbst zu spüren, wahrzunehmen und zuzulassen (transparente leibliche Selbstwahrnehmung).
Und in diesem unmittelbaren, direkten Kontakt und der Wahrnehmung des Wesens, ohne Hilfsmittel, pur, sehe ich das ganz große Potential der Leibarbeit und die wirklich enorme wandelnde Kraft begründet.
In der Umsetzung kommt der »Körper« wieder ins Spiel, da er ja die Form ist, in der sich jeder Mensch hier auf Erden zum Ausdruck bringt, und damit findet die Berührung häufig über die Berührung des Körpers statt. Es kann aber auch eine völlig »unkörperliche« Berührung sein, indem ich z.B. nur neben dem Behandelten sitze.
Konkret kommt ein Mensch in die Praxis, ich befrage ihn nach seinem Wunsch für die Behandlung und nehme sein Anliegen kommentarlos in mich auf. Danach bitte ich ihn, eine seinem Wunsch/Anliegen angemessene Position einzunehmen (liegen, sitzen, stehen) und nehme neben ihm Platz. Ich selbst begebe mich in eine bequeme Position für mich und verbinde mich mit mir, in meiner Mitte (aufgespannt zwischen Himmel und Erde) und erst dann begebe ich mich in die Wahrnehmung dessen, wonach der Leib vor mir »ruft«. Dieser Wahrnehmung folge ich – ob durch Handauflegen, Singen, Halten. Mannigfaltig sind die Möglichkeiten, doch was als Feedback oft kommt, ist, dass die Menschen »die Liebe spüren« und ein plötzliches »Einverstanden sein« mit sich selbst. Das ist für mich das größte Geschenk! Denn wie Karlfried Graf Dürckheim vom »neuen Menschen« spricht mit seiner Sehnsucht nach diesem Wesenhaften in einer Welt der überproportionalen Ratio (nur das objektiv Messbare ist wahr), habe ich das Gefühl, vielen von uns ist in dieser rationalen Welt unser Gefühl für uns selbst, die Wertschätzung dieses Gefühls als Wegweiser zum Heilsein, ja überhaupt die Wahrnehmung unseres Gefühls abtrainiert worden. Die Leibarbeit kann dies zurückbringen!
Ob es eine Erschöpfung, eine Schulterverspannung, oder Beziehungsprobleme sind, i.d.R. beginnt die tiefe Wandlung und Lösung mit der Wahrnehmung dessen, wie es sich gerade anfühlt und dem Wissen, da ist jemand mit mir, und ganz wichtig: Es ist in Ordnung, dass es gerade so ist! Denn dann wird es sich verwandeln.